pö a pö #5 – 23.11.19 – at seven o’clock – Kaffe Güzel +++ english version below
Haferschleim statt Eigenheim

Räsüme #5
Liebe Jenossinen und Jenossen,
vor einer Woche in etwa war pö a pö. Zum zweiten Mal in Folge. Der frühe Start ist gut aufgegangen, so dass wir eine Pause einrichten konnten, um allen möglichen menschlichen Bedürfnissen nachzukommen. Umso aufmerksamer kann man sich dann dem folgenden Programm widmen. Dieses spricht vor allem für sich selbst und steht unten. Hier nur noch der Ausdruck der Hoffnung und Vermutung, dass wir allesamt für wenige Stunden ein Momentum von Heimat errichten konnten, das niemanden ausschließt.
Hier nur der knappe Hinweis, der mir am Samstag entfallen war: Am 21. Dezember geht es weiter!
Alles liebe
Lennart
Nachlese #5
0. therandomly unpractised noones
Vollkommen zu Recht wurden die sogenannten ‚randomly unpractised noones‘ von fish am Ende nochmal auf die Bühne gerufen. Sie bestachen nicht nur durch das Outfit des Tages sondern auch durch ungeprobtes Können und sehr gekonntes Proben – für eine Stunde zwei Stunden vor Beginn. Aber was soll dieses belitzki auf der Bassdrum?
1. „Die Dummheit macht dumm, die ihr begegnen“
Herr K. hielt es nicht für nötig, in einem bestimmten Lande zu leben. Er sagte: »Ich kann überall hungern.« Eines Tages aber ging er durch eine Stadt, die vom Feind des Landes besetzt war, in dem er lebte. Da kam ihm entgegen ein Offizier dieses Feindes und zwang ihn, vom Bürgersteig herunterzugehen. Herr K. Ging herunter und nahm an sich wahr, daß er gegen diesen Mann empört war, und zwar nicht nur gegen diesen Mann, sondern besonders gegen das Land, dem der Mann angehörte, also daß er wünschte, es möchte vom Erdboden vertilgt werden. »Wodurch«, fragte Herr K., »bin ich für diese Minute ein Nationalist geworden? Dadurch, daß ich einem Nationalisten begegnete. Aber darum maß man die Dummheit ja ausrotten, weil sie dumm macht, die ihr begegnen.«
Vaterlandsliebe, der Haß gegen Vaterländer, entnommen aus: Bertolt Brecht: Geschichten vom Herrn Keuner. Frankfurt: Suhrkamp, 121981, S. 15. Gelesen von Tom.
2. „Wenn ich mich zu Hause fühle, brauche ich keine Heimat“
Seit der Wiedervereinigung wollen Intellektuelle das Wort ‚Heimat‘ neu besetzen. Sie versprechen sich davon, es jungen Leuten zugänglich zu machen. Die werden Skins oder Neonazis, heißt es, weil sie ‚Heimat‘ vermissen. Ich glaube das nicht und mache an der Neubelebung des Wortes ‚Heimat‘ nicht mit. Wenn ich mich zu Hause fühlem brauche ich keine ‚Heimat‘. Und wenn ich mich nicht zu Hause fühle, auch nicht. Es kommt vor, daß mir morgens beim Aufwachen die Zimmerwand fremder vorkommt als am Tag davor der Bahnhof.
Das ist ‚Heimat‘.
Heimat oder Der Betrug der Dinge von Herta Müller, entnommen aus: Gisela Ecker [Hrsg.] Heimat – weiblich? München: Fink, 1997, S. 213-219. Gelesen von Lennart.
3. Sylvia
https://soundcloud.com/sylvia-141947652/tracks
https://www.facebook.com/Sylvia-449992075211637/
It‘s magnificent what a world can open up in some music performed just by a voice and a guitar. It takes guts and cold blood to stand up alone, trap the audience, and lead it into a proper pö a pö event. Here it really started to get its special atmosphere.
4. About a Private and an Ideological Home – Piotrek Piasek
A polish perspective on ‚fatherland‘ was brought into our conscience by Piotr. I got told that I didn‘t read out the text so well. I‘m sorry, but here you can read it on your own: Text.
5. „Ich kann überall hungern“
Herr K. hatte anläßlich einer Frage nach dem Vaterland die Antwort gegeben: »Ich kann überall hungern.« Nun fragte ihn ein genauer Hörer, woher es komme, daß er sage, er hungere, während er doch in Wirklichkeit zu essen habe. Herr K. rechtfertigte sich, indem er sagte: »Wahrscheinlich wollte ich sagen, ich kann überall leben, wenn ich leben will, wo Hunger herrscht. Ich gebe zu, daß es ein großer Unterschied ist, ob ich selber hungere oder ob ich lebe, wo Hunger herrscht. Aber zu meiner Entschuldigung darf ich wohl anführen, daß für mich leben, wo Hunger herrscht, wenn nicht ebenso schlimm wie hungern, so doch wenigstens sehr schlimm ist. Es wäre ja für andere nicht wichtig, wenn ich Hunger hätte, aber es ist wichtig, daß ich dagegen bin, daß Hunger herrscht.«
Hungern, entnommen aus: Bertolt Brecht: Geschichten vom Herrn Keuner. Frankfurt: Suhrkamp, 121981, S. 17. Gelesen von Tom.
6. The Swan – Camille Saint-Saens
First performance on the 9th of March in 1886 in a private home concert. Revisited from Lennart (cello) and Till (piano) on some home concert in the living room of the Kaffe Güzel.
7. Report from Brussels
Trudi and Matsch came from Brussels to inform us about their backgrounds, the history of the ZigZagKitchen serving 800 meals a day in a park in Brussels mostly occupied by refugees, and telling us how many packages you need to salt 400kg of food.
They‘re happy to bring home ~140€ of donations but are still looking for what is needed even more: womenpower. If you have time to join the kitchen for at least a week, don‘t hesitate to contact them: zigzagkitchen@posteo.org
8. Everyone has their own stage
https://www.instagram.com/kurt.copon/
As (almost) every time, again some greetings from Manila:
Everyone has their own stage.
We manifest ourselves at our own individual stages right from when we’re born. We’re in it for audiences to see. As we change throughout our lives in that stage, so does our audience that will see us.
And at the end of the day, as the curtain closes, the makeup and costumes get removed, and all who watched have gone, our stage is always what we have. Even if we’re alone, and everything might be bleak, we can still dance in it. We can still express ourselves without judgment. It is where we can find comfort because of its familiarity.
Your stage will always be your home.

9. Till
https://www.youtube.com/watch?v=6Ivhm7zg32s
Not only a part of the randomly unpractised noones but also a well practised and known pianist playing some mix from Jazz to the Arctic Monkeys and some own stuff as well. He came from Bayreuth to visit us and became our artist in residence for this time.
10. illfish
https://illfishgl.bandcamp.com/
https://www.facebook.com/illfishGL/
Und zum Ende dann fish, der nochmal alles Gesagte zusammenfasste, und in geordnetes Chaos einsortierte. Ja, die Frage ist berechtigt, kommt da noch was hinten dran? Nein, wir hören auf, wenn es am schönsten ist! Okay, noch eine Zugabe, put your hands in the air!
a. Kaffe Güzel
https://www.facebook.com/KaffeGuezel/
https://www.instagram.com/kaffe_guezel/
Ein Zuhause und kleine Heimat geworden ist uns das Kaffe Güzel die letzten beiden Male. Das Essen war wieder Mal der Wahnsinn! Danke an all die entspannt-fleißigen Bienchen im Hintergrund.
α. a piece of home on the road

And some little PS from the πατρίδα sent us Nikos once he arrived in Athens.
Einladung #5
Liebe Jenossinen und Jenossen,
schon am kommenden Samstag, den 23. November, ist wieder pö a pö. Wieder im Kaffe Güzel. Dieses Mal schon um Sieben! Das sind auch schon alle Fakten. So kommt ihr dort hin: Karte.
Ansonsten wie immer der Hinweis: pö a pö ist keine Einbahnstraße ist. Ihr alle seid eingeladen zu partizipieren! Das Thema wird „Heimat“ in allen seinen positiven wie negativen, kollektiven wie individuellen, von Geflohenen wie Nationalist*innen getätigten Zuschreibungen sein. Wer etwas dazu zu sagen, schreiben, zeigen oder musizieren hat, melde sich zu Wort: Kontakt.
Keine Sorge, wir werden euch am Samstag nicht so sehr erschlagen, wie das letzte Mal, fangen güzellig um Sieben an und nehmen uns die Zeit und die Pausen, die wir brauchen, und werden dennoch fertig sein bevor wir müde werden.
Schöne Grüße
Lennart
Manifest #5
Liebe Jenossinnen und Jenossen,
„Wo kommst du her?“ ist wohl – kurz hinter „Was machst du beruflich?“ – eine der häufigsten Fragen, wenn man einander neu kennenlernt. Und erst Recht, wenn man nicht die gleiche Muttersprache teilt, eine fremde Herkunft also scheinbar auf der Hand liegt: „Where do you come from?“ Was für die*den Fragensteller*in ein Reflex zu sein scheint, bedeutet für die*den Befragte*n schnell die Befürchtung über die Antwort eingeordnet zu werden: Die Angst, dass die persönliche Geschichte mit der Heimat, der man entstammt, gleichgesetzt wird, dass man dann ist, woher man kommt. Denn es wäre der Tod der eigenen Autonomie, wäre man bloß ein Produkt der Orte, die man passiert hat. Nichtsdestotrotz werden wir geprägt von den Städten und Dörfern, in denen wir aufgewachsen sind, gelebt haben, ebenso wie denen, in die wir freiwillig oder unfreiwillig gezogen sind – und so erzählen wir auch unsere Biographien: Was wir wo erlebt, gelernt und erfahren haben.
Ohne Verklärung lässt sich das Wort Heimat gar nicht gebrauchen.1
Das Gegenteil der Heimat ist die Fremde. Beide Begriffe lässen sich niemals wirklich lokal fixieren, weil Sie sich nicht territorial konstituieren. Es gibt keine Landkarte auf der Heimat oder Fremde stünde. Es sind individuelle ebenso wie dynamische Begriffe, deren Grenzen für jeden anders liegen und sich ständig verschieben. Auch auf der Zeitachse: Die Heimat liegt notwendigerweise in der Vergangenheit, da sie sich aus Erinnerungen speist, die Fremde ist die Zukunft, in die man aufbricht. Selbst wenn man an einem Ort für immer wohnen bliebe, wäre die Heimat bloß das, als was einem dieses Fleckchen Erde bekannt ist, und die Fremde die Veränderung, die einem noch nicht bekannt ist. Nationalist*innen, die nicht müde werden, den Wert der Heimat zu betonen, verallgemeinern einerseits den individuellen Kern von Heimat, den sie zu einer kollektiven Vorstellung synchronisieren und sie wenden ihn andererseits als etwas zu bewahrendes auf die Zukunft an. Das kann jedoch nur Stillstand bedeuten.
Ich kann überall hungern.2
Wir sprechen von Heimat meistens im Singular. Es gibt sie allerdings nur im Plural. Wir alle tragen unsere Heimaten mit uns herum. Wir haben nicht bloß unsere Herkünfte, die sich in Koordinaten exakt bestimmen ließe. Genauso haben wir unsere Heimaten. Diese haben jedoch keinen Platz in der Welt, sondern in unseren Erinnerungen und Geschichten. Auf dem Weg durch die Fremde der Welt, in die wir qua Geburt gesetzt werden, ist die Heimat die Summe des Vertrauten, das wir auf diesen Wegen ansammeln. Gewissermaßen ist Heimat das, was man von einem Ort mitnimmt, wenn man ihn durchlebt hat. Grausam wird Heimat dann, wenn sie als Maßstab für zukünftige Gestaltung dienen soll. Wenn die Leute, die Erinnerungen an einen Ort haben, meinen er müsse diese Erinnerungen reproduzieren. Das kann er einerseits nicht: Denn kein Platz wird so bleiben, wie er war. Und andererseits schließt es diejenigen Menschen aus, die an einem Ort leben, an dem sie nicht schon immer gelebt haben. Was wir jedoch teilen ist die Ungewissheit der Zukunft. Wir alle treten gemeinsam jeden Morgen in einen neuen Tag, der uns fremd ist. Ganz gleich welche Heimaten, Herkünfte und Erinnerungen uns bis dahin unterschieden haben. Was uns von diesem Tag am Abend in Erinnerung bleibt, kann zur Heimat werden – beziehungsweise zu Heimaten, die keinesfalls die gleichen sein müssen.
Lasst uns also pö a pö mit der Heimat fremdeln.
PS: Haferschleim statt Eigenheim.
1Herta Müller: Heimat oder Der Betrug der Dinge. In: Gisela Ecker [Hrsg.] Kein Land in Sicht. Heimat – weiblich?, München: Fink, 1997, S. 214.
2Bertolt Brecht: Geschichten vom Herrn Keuner. Frankfurt: Suhrkamp, 121981, S. 17.
public phone as private home
Recap #5
Dear comrats,
Last week, pö a pö was held for the second time in this season. Starting the event early paid off and we could take a break midway to satisfy all possible bodily needs. So the better one could follow the proceeding programme. A programme which is speaking on its own behalf above (the red parts are translated in English). For now there’s just the articulation of hope and the assumption that we could establish a moment of ‘home’ without excluding anyone, for a few hours at least.
Here’s a remainder which I forgot on Saturday: The next pö a pö will take place at the 21th of December!
Best
Lennart
Invitation #5
Dear comrats,
pö a pö is already this Saturday, 23rd of November, again at Kaffe Güzel at 7 o’clock. These are the hard facts and that’s how you get there: map.
As always the reminder: pö a pö isn’t a one-way. You’re all invited to participate! The topic will be “home”. Containing all the positive and negative, collective and individual connotations made up from emi/immigrants to nationalists. For those who feel like talking, writing, showing or playing music about that, please contact us here: contact.
Don’t worry next Saturday won’t be as overwhelming as the last time. We start early at seven, take our time and our breaks but still be done before we get tired.
Best
Lennart
Manifest #5
Dear comrats,
“Where do you come from?” It’s probably the question asked most often when two persons get to known to each other. It’s closely followed by “What do you do for a living?” Even more if you don’t share the same mother tongue and a different origin is apparently obvious. What seems to be a reflex for the questioner often results in a suspicion of the respondent to get categorized by the answer s*he gives: The fear that the individual experience gets equalled to the origin. The questioner may think you are where you come from. It would be the end of the individual autonomy to be the bare product of the places one has passed by. Nevertheless we do get shaped by the cities and villages we grew up in and have livedin, independent of whether we’ve been there voluntarily or not. That’s how we tell our biographies: Where we have done, experienced or learned certain things.
It’s impossible to use the word ‘homeland’ without romanticisation.1
The opposite of ‘home’ is foreign. Both terms aren’t spatially determined because they aren’t constituted in territory. There’s no map with the notation of ‘home’ and ‘foreign’. They’re are individual as well as dynamic terms. The borders are different for everyone and shifting all the time. In time as well: ‘Home’ is always in the past, since it’s made of memories. The future is foreign, because it’s the unknown you set off to. Even in a place you’ve always lived in, it’s only a home insofar you know it as what it has been, but the possible change remains foreign. Nationalists not tired of praising the value of the homeland dismiss it in two ways. First, they universalize the individual essence of home to some collective good. Second, they apply it on the future as something to be preserved. But this would end in stagnation.
I can starve everywhere.2
Most times we use ‘home’ in singular. But it only exists in plurality. As all of us carry some home with us. This is more than just the place of origin, that one expresses in coordinates. These ‘homes’ don’t have a place in the spatial world but in our memories and stories. As we navigate through this foreign world that we were born into, home becomes the sum of everything that we familiarized ourselves with. Somehow one could say that home is what you take along from one place you lived in.
Specifically persons who acquired certain memories of a place shouldn’t take these memories as the measure for the future design of the place. For two reasons. First, no place stays the same and it’s impossible to reproduce the memories you have of it. Second, it excludes all persons living in a place where they haven’t lived before.
What we all share is the uncertainty of the future. All of us encounter a ‘foreign’ day every morning. What counts are the memories we’ll have made at the end this day. They can constitute some feeling of ‘home’ independent of our backgrounds – respectively ‘homes’ which can be different from each other.
Let’s embrace pö a pö the foreignness of our homes.
PS: Public phone as private home.
1My translation of: Herta Müller: Heimat oder Der Betrug der Dinge. In: Gisela Ecker [Hrsg.] Kein Land in Sicht. Heimat – weiblich?, München: Fink, 1997, S. 214.
2My translation of: Bertolt Brecht: Geschichten vom Herrn Keuner. Frankfurt: Suhrkamp, 121981, S. 17.